Südlich des Ortes Odagsen (Stadt Einbeck, Kr. Northeim, Niedersachsen) wurde von 1981 bis 1984 ein Kollektivgrab aus der 2. Hälfte des 4. Jt. v. Chr. untersucht (Lage vgl. Abb. 1-2). Noch während der Ausgrabung von Odagsen I ergaben sich Hinweise auf weitere vergleichbare Anlagen nördlich und nordwestlich des Ortes (vgl. Heege/Heege 1989, 16 Abb. 6). Durch die langjährige Tätigkeit der Bodendenkmalpflege (Werben 1996) und die Untersuchungen an den Grabenwerken von Einbeck-Kühner Höhe, Einbeck-Salzderhelden und Northeim-Kiessee (Grabungen der unteren Denkmalschutzbehörde und der Universität Göttingen: Heege/Werben 1994, Heege et al. 1990/91; Siegmund/Viehmeier 1994), treten neben die Gräber auch Siedlungsbefunde der jungsteinzeitlichen Bewohner. Damit erschließt sich der Blick in die am Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends intensiv genutzte Siedlungskammer des Einbeck-Markoldendorfer Beckens (Abb. 2).
Abb. 1: Lage des Fundortes. Entfernung in Meilen.
Fig. 1: Location of the Odagsen site.
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Abb. 2 (unten): Geländemodell des Einbeck - Markoldendorfer Beckens (fünffach überhöht). Norden rechts oben. Das Erdwerk von Northeim-Kiessee befindet sich unmittelbar südlich des Kartenausschnittes.
Fig. 2: 3D-Model of the Einbeck-Markoldendorf basin showing late Neolithic sites. Red triangles: collective burial sites; yellow dots: causewayed enclosures.
© Christoph Rinne / Sandra Viehmeier
Die hier vorgestellte zweite Grabanlage von Odagsen wurde durch den Grundeigentümer E. Wille im Frühjahr 1984 beim tieferen Pflügen entdeckt. Die Kontrolle der Fundstelle am selben Tag durch U. Werben, damalige ehrenamtliche Beauftragte für archäologische Denkmalpflege der Stadt Einbeck, erbrachte gebrannten Kalkstein, eine Flintklinge mit Sichelglanz und menschliche Knochenfragmente, die eine eindeutige Interpretation des Befundes als Grabanlage ermöglichten. Der Untergrund der Fundstelle in der Flur Schlagbaumsfeld besteht aus 6 m mächtigem Löß über den pleistozänen Ablagerungen. Im Luftbild zeichnet sich das Grab als dunkles Feuchtigkeitsmerkmal im Boden ab (Rinne/Viehmeier 1999, Abb. 2). Darüber hinaus wird durch die ebenfalls dunklere Färbung der Umgebung die Lage in einer leichten Senke auf dem Hangrücken deutlich. Bis 1995 wurde die Fundstelle regelmäßig beobachtet, wobei außer zahlreichen, zum Teil gebrannten Kalk- und Sandsteinen, insgesamt 36 g Keramikfragmente, 87 g Flintartefakte sowie 330 g Knochen aufgesammelt werden konnten. Neben Tierknochen wurden zahlreiche Bruchstücke menschlicher Langknochen und Schädelfragmente geborgen. Von den vier aufgefundenen Keramikfragmenten sind drei allgemein urgeschichtlich und eines neuzeitlich zu datieren. Ein Fragment weist eine mittelgrobe Schamottmagerung auf und scheint sekundär gebrannt, ein weiteres zeigt eine mittelgrobe Mineralgrusmagerung. Unter den Flintartefakten sind ein Querschneider, vier Klingenfragmente (in einem Fall mit Sichelglanz), zwei präparierte Abschläge und ein Kratzer hervorzuheben (Abb. 3). Nach dem Gewicht ist das Fundaufkommen von 1984 bis 1995 rückläufig.
Abb. 3: Odagsen II. Lesefunde (Sammlung U. Werben, Einbeck).
Fig. 3: Odagsen II. Stray finds.
© Christoph Rinne / Sandra Viehmeier
Am 12.12. und 20.12.1997 wurde die Fundstelle mittels eines Magnetometers (Fluxgate-Gradiometer FM 36), einer Stahlsonde und einem Hohlbohrer (Pürkhauer) untersucht. Die Sondage mit der Stahlstange ergab eine ost-west-orientierte Steinkonzentration von ca. 11 m x 2 m in einer Tiefe von überwiegend 35 cm unter der Oberfläche. Nördlich und südöstlich wurden vereinzelt weitere Steine in Tiefen bis zu 88 cm erbohrt, die die Vermutung auf das Vorhandensein von Gruben im näheren Umfeld stützen.
Für die Messungen mit dem Magnetometer wurde der durch die Streufunde markierte Bereich mit einem 20 m breiten und 20 m langen Meßsystem überzogen; der Meßabstand betrug 0,5 m. Die Meßbarkeit von archäologischen Strukturen im Boden beruht auf einem natürlichen bodennahen Magnetfeld, das durch magnetische Bestandteile des A-Horizontes (Pflughorizont) bestimmt wird (Becker 1996). Werden anthropogene Eingriffe, z.B. Gruben oder Fundamente, mit ortsfremden Material oder Oberboden verfüllt, ergeben sich Veränderungen im bodennahen Magnetfeld, die mit dem Magnetometer gemessen werden können. Nach der Aufnahme im Feld werden die Meßwerte in ein Rasterbild umgesetzt, wobei jedem einzelnen Wert eine Grau- oder Farbstufe zugeordnet wird.
Das Rasterbild der Meßwerte zeigt am nördlichen Rand die ost-westlich orientierte Grabanlage (Abb. 4). Sie setzt sich mit negativen (gelben) Werten im Inneren und positiven (blauen) Werten am Rand deutlich gegen die mittleren Werte von Pflughorizont und Lößuntergrund ab. Im südöstlichen Viertel zeichnet sich eine ovale Konzentration positiver (blauer) Werte ab, die eine Grube vermuten lassen, zumal an dieser Stelle in 88 cm Tiefe ein Stein erbohrt wurde (roter Punkt). Die Außenmaße der Grabanlage (blauer Rahmen) betragen ca. 10 m x 4 m, die Innenmaße (gelbe Fläche) 8 m x 2 m. Der Befund scheint im Osten schlechter erhalten - vermutlich hat der Pflug 1984 die Anlage an dieser Stelle teilweise zerstört, während die westliche Kammerhälfte verschont blieb.
Abb. 4: Odagsen II. Genordetes Rasterbild der Meßwerte in nT (Nanotesla). Die Meßwerte der im Bild zusammengesetzten Felder wurden auf den Median 0 normiert. Eine weitere Bearbeitung wurde nicht vorgenommen. Mit den roten Punkten sind Steine im Untergrund markiert.
Fig. 4: Odagsen II. Geomagnetical survey. The position of the burial chamber is marked by a yellow rectangular structure and a concentration of stones (limestone, red signature).
© Christoph Rinne / Sandra Viehmeier
Die innerhalb des Grabes gemessenen negativen Werte lassen in Verbindung mit den Oberflächenfunden auf ein Pflaster aus Kalkstein schließen, da dieser keine magnetisierten mineralischen Bestandteile enthält. Der Rahmen aus positiven Werten entsteht durch mineralreiche und deutlich stärker magnetisierte Schwarzerde, die in einem umlaufenden Graben eingelagert ist. An der östlichen Schmalseite, wo dieser Graben fehlt, ist der Eingang zur Grabanlage zu vermuten. Zur Kontrolle der Ergebnisse der magnetischen Prospektion wurde am nordwestlichen Kammerrand mit einem Hohlbohrer mehrere Proben genommen. Sie zeigen eine 5 bis 25 cm starke braun-humose Bodenschicht unter dem Pflughorizont und bestätigen die Interpretation der positiven Meßwerte als umlaufenden Graben.
Die Prospektion zeigt ein Ost-West orientiertes Steinpflaster, das aufgrund der Funde als neolithisches Kollektivgrab des 4./3. Jt. angesprochen werden kann. In ihren äußeren Abmessungen ist die Anlage mit dem kürzlich entdeckten Grab von Remlingen (Niedersachsen) gut vergleichbar (Dirks 1999). Die lückenhaft in maximal 35 cm Tiefe erbohrten Reste des Steinpflasters sowie die insgesamt geringe Befundtiefe in den Bohrkernen weisen auf eine schlechte Erhaltung unmittelbar unter dem Pflughorizont hin. Das Grab ist akut gefährdet und sollte möglichst rasch ausgegraben werden, um wenigstens noch letzte Strukturen dokumentieren zu können.
Frau U. Werben hat uns dankenswerter Weise die Funde und ihre gesamte Dokumentation zur Verfügung gestellt.
Für freundliches Entgegenkommen möchten wir uns bei dem Grundbesitzer Herrn E.-A. Wille (Odagsen) bedanken. Die Prospektion fand in enger Zusammenarbeit mit Herrn Dr. A. Heege (Untere Denkmalschutzbehörde der Stadt Einbeck) statt und wurde von Herrn Prof. Dr. K.-H. Willroth (Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen) durch das zur Verfügung gestellte Magnetometer unterstützt. Trotz eisiger Kälte und Regen haben uns unsere Kommilitonen Sonja König M.A. und Stefan Hainski tatkräftig unterstützt. Herr Prof. Dr. F. Siegmund (Göttingen, Basel) hat uns freundlicherweise ein in FORTRAN geschriebenes Programm zur Überarbeitung der Meßwerte zur Verfügung gestellt.
Becker, Helmut:
Archäologische Prospektion. Luftbildarchäologie und Geophysik. Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 59. München 1996.
Dirks, Ulrich:
Ein Mauerkammergrab der Bernburger Kultur bei Remlingen (Niedersachsen). In: www.jungsteinsite.de - Artikel vom 14. November 1999.
Heege, Elke / Heege, Andreas:
Die Häuser der Toten. Jungsteinzeitliche Kollektivgräber im Landkreis Northeim. Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte 16. Hildesheim 1989.
Heege, Elke / Heege, Andreas / Werben, Ursula:
Zwei jungneolithische Erdwerke aus Südniedersachsen. Der "Kleine Heldenberg" bei Salzderhelden, Stadt Einbeck, und das Erdwerk am Kiessee bei Northeim. Neolithische Funde und Befunde. Die Kunde N.F. 41/42, 1990/91, 85-126.
Heege, Andreas / Werben, Ursula:
Nachrichten aus der Ur- und Frühgeschichte. Jahresbericht 1993 der Archäologischen Denkmalpflege der Stadt Einbeck und der Beauftragten für die Archäologie der Stadt Einbeck. Einbecker Jahrbuch 43, 1994, 5-28.
Rinne, Christoph / Viehmeier, Sandra:
Die geomagnetische Prospektion des Kollektivgrabes Odagsen II. Einbecker Jahrbuch 46, 1999.
Siegmund, Frank / Viehmeier, Sandra:
Viehkral, Kultplatz, Befestigung? In: Andreas Heege, Fliegen - Finden - Forschen. Luftbildarchäologie in Südniedersachsen. Bilder und Texte aus Südniedersachsen 1. Hannover 1994, 18-21.
Werben, Ursula:
Archäologische Untersuchungen an der Bundesstraße 3 bei Einbeck, Ldkr. Northeim. Ein Überblick. Studien zur Einbecker Geschichte 10. Oldenburg 1996.