Im Zuge einer großflächigen Siedlungsgrabung auf dem Feldberg bei Großenrode, Stadt Moringen, Ldkr. Northeim, wurde 1989 knapp 60 m südlich von Grab I ein zweites Grab entdeckt und 1990 vollständig untersucht (Heege 1989; 1992; Heege/Heege 1989; Rinne 1996).
Abb. 1: Lage des Fundortes. Entfernung in Meilen.
Fig. 2: Location of the Großenrode site.
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Die Befunde
Die eingetiefte Kammer war NNW-SSO ausgerichtet und hatte Innenmaße von 2,6 - 2,7 m x 7 m (Abb. 2). Die Längswände bestanden aus Balken von ca. 0,3 m Stärke, die in Gräben von 1,2 m Tiefe unter dem Kammerpflaster fundamentiert waren. Auf der Außenseite waren die Balken mit einer dichten Lage aus Kalk- und Sandsteinen verkeilt worden. Der Eingang lag im Süden und wurde von einem noch zur Hälfte erhaltenen Türlochstein (Stein I) gebildet, vor dem im rechten Winkel, den Eingang im Westen flankierend, ein "Wächterstein" (Stein II) stand. Der nördliche Abschluß wurde vermutlich von einem dritten Stein gebildet, von dem nur der Stumpf erhalten war. Die inselartig um das Grab erhaltene Schwarzerde belegt eine Überhügelung des Grabes mit Erdaushub. Formal ist die Grabanlage, abgesehen von der Verwendung von Holz als Baumaterial anstelle von gebrochenen Steinplatten, zu den hessisch-westfälischen Galeriegräbern der Wartbergkultur zu stellen (Abb. 3).
Abb. 2: Großenrode II. Foto des letzten Planums der Grabanlage.
Fig. 2: Großenrode II during excavation.
Abb. 3: Rekonstruktion der Grabanlage. Foto und Rekonstruktion sind gleich ausgerichtet (Lochstein/Eingang rechts).
Fig. 3: Reconstruction of the grave (elevation). Photograph and sketch have the same orientation (access with a perforated entrance stone to the right).
Abb. 2-3 © Christoph Rinne
Die aus der Grabanlage und deren Vorfeld geborgenen Funde weisen gleichfalls Bezüge zur Wartbergkultur auf, sind zudem aber auch mit der Tiefstichkeramik des mitteldeutschen Raumes und der Altmark in Verbindung zu bringen. Trotz der großen Menge geborgener Funde - der Aushub wurde nahezu vollständig gesiebt - lassen sich nur sechs Gefäßeinheiten eindeutig mit dem Grab in Verbindung bringen. Eines dieser Gefäße, vermutlich eine steilwandige Tasse mit einer kleinen Knubbe am oberen Henkelansatz, findet sowohl Parallelen in der Wartbergkultur als auch im mitteldeutschen Jungneolithikum (Schrickel 1966, Taf. 33,6; 35,28.29; 36,4; Schwellnus 1979, Taf. 24,14; Beier 1983, 97, 98, 103, 115, 120, 127, 140; Feustel/Ullrich 1964/65, 105ff.; D.W. Müller 1992, 221ff.; 1994, 75ff.; 87 Abb. 2,6; 91 Abb. 6,4.14; 96f. Abb. 11,5; 12,1; 104 Abb. 19,4; 106f. Abb. 21,13; 22,17).
Drei Fragmente stammen vermutlich von einer tiefstichverzierten Amphore oder Schultertasse und zeigen die von Götze als charakteristisch beschriebenen Furchenstich- und Stacheldrahtlinien auf Hals und Schulter (Götze 1911, 145). Vergleichsfunde können u.a. vom Grab im "Hillah" bei Liebenburg und dem Gräberfeld von Walternienburg angeführt werden (Dirks 1997, 32 Abb. 2,9; Götze 1911, Taf. 17,4; Reuß 1907, Taf. 11,7; vgl. Behrens 1973, 101 Abb. 39h). Aufgrund der Magerung ist eine dickwandige Scherbe mit kräftiger Öse eventuell diesem Gefäß zuzuweisen; sie könnte als Fragment einer Trommel aber auch eine eigene Gefäßeinheit repräsentieren. Das kleine Randfragment einer Schale mit dreizeiligem Stacheldrahtband am Innenrand ist aufgrund der zahlreichen Parallelen aus dem Grab I von Odagsen und dem Grab vom "Hillah" in denselben Kontext zu stellen (Dirks 1997, 32 Abb. 2).
Ein weiteres Gefäß, aufgrund der Dünnwandigkeit wohl eine Tasse, wird durch zwei Fragmente mit einem horizontalen Band aus mehreren Einstichreihen und anhängenden Stichgruppen repräsentiert. Vergleichbares findet sich bei innenrandverzierten Schüsseln aus Odagsen (Rinne 2000, Taf. 17) und auf Schultergefäßen aus Plaue an der Havel. Die oft auch in mehreren versetzten Reihen auftretenden Stichgruppen sind auch schon als "Walternienburg-Abschluß" bezeichnet worden (Kirsch 1993, Abb. 151,883.2; 1994, 86).
Ein kleines Keramikfragment mit zumindest zweireihigem, gegenständigem Zick-Zack-Band ist chronologisch kaum näher einzuordnen; einerseits erinnert es an Verzierungsmuster der Kugelamphorenkultur, andererseits ist es aber auch in einem deutlich älteren Kontext auf dem Gräberfeld von Tangermünde oder in der nordwestdeutschen Tiefstichkeramik zu finden (Beier 1988, Taf. 78,1. Preuß 1954, 436; Taf. 12,4. Günther 1979, 158 Abb. 7,3).
Als letztes sind ein Henkelfragment und eine Wandscherbe mit Knubbe zu nennen, die aufgrund der Magerung von einem Gefäß, vermutlich einer Tasse mit Knubbenzier, stammen. Die kulturellen Bezüge sind wohl ähnlich gelagert wie bei dem eingangs erwähnten Exemplar und damit innerhalb des Jungneolithikums nicht näher einzugrenzen.
Von den Flintartefakten sind besonders die 23 Pfeilspitzen und 14 Querschneider zu nennen. Zahlreich sind Pfeilspitzen mit konkaver bis gerader Basis, hinzu treten zudem ein Exemplar mit konvexer Basis, drei gestielte Pfeilspitzen und eine weitere mit Schäftungskerben. Vor allem für dieses Exemplar sind Bezüge zur Wartbergkultur anzuführen, was durch die Verwendung von Kieselschiefer unterstrichen wird (Schwellnus 1979, Taf. 17,11.16; 30,8). Darüber hinaus sind die Querschneider nur allgemein mit der norddeutschen Trichterbecherkultur, die Pfeilspitzen mit den Kulturen südlich der Mittelgebirgsschwelle in Verbindung zu bringen. Als Besonderheit ist ein kleiner, langrechteckiger und nahezu flächig retuschierter Querschneider zu erwähnen, der den üblicherweise verwendeten medialen Bruchstücken aus Klingen oder Abschlägen in keiner Weise ähnelt. Geschoßspitzen wurden auch aus Knochen gefertigt, wie sechs Exemplare mit langgestrecktem triangulärem Blatt und mindestens weitere sieben spatelförmige Spitzen belegen.
Die Datierung der Grabanlage ergibt sich aus den Funden, die einerseits eine Affinität zur Wartbergkultur aufweisen, andererseits aber auch auf die Walternienburger Kultur bzw. die jüngste Phase der Tiefstichkeramik verweisen. Das Grab ist demnach dem Horizont 1 der nichtmegalithischen Anlagen Mitteldeutschlands zuzuweisen (D.W. Müller 1994, 140f.) Eine absolute Datierung liefern sechs 14C-Daten. Es handelt sich um vier Knochenproben (Hv-17633: 4430±90 BP; Hv-17634: 4110±55 BP; Hv-17635: 4750±145 BP; Hv-17636: 4415±110 BP) und zwei Holzkohleproben aus dem nördlichen Ende des östlichen Fundamentgrabens (Hv-17491: 4660±95 BP; Hv-17493: 4565±140 BP). Die hohen bis sehr hohen Standardabweichungen führen zu einer weiten Streuung der kalibrierten Werte innerhalb des letzten Drittels des 4. Jt. v. Chr. Das überwiegend höhere Alter der Holzkohledaten läßt vermuten, daß hier Kernholzproben von bis zu 200 Jahre älterem Bauholz gemessen wurden (Abb. 3).
Abb. 4: Großenrode II. 14C-Datierung.
Fig. 1: Calibration of the radiocarbon dates (charcoal and human bone).
© Christoph Rinne
Zur Ausstattung der Toten ist auch die Mehrzahl der 248 Tierzähne zu rechnen, von denen 98 nachweislich durchbohrt sind und wohl als Kleiderapplikationen oder Ketten Verwendung fanden. Eine über die Schmuckfunktion hinausgehende Bedeutung mögen die fünf Unterkieferhälften von Fuchs und Steinmarder gehabt haben, von denen zwei im Beckenbereich eines Toten in situ gefunden wurden (Abb. 5). Auch aus den benachbarten Grabanlagen von Großenrode und Odagsen stammen Zähne und Knochen von Hund, Fuchs, Fischotter, Wolf, Schwein, Baummarder, Dachs und Bär. Bei diesen Tieren überwiegen die Schädelknochen stets deutlich die postkranialen Skelettelemente. Abgesehen vom Hund handelt es sich um besonders gewandte und schlaue oder gefährliche Tiere, für deren erfolgreiche Jagd viel Geschick erforderlich war. Es ist daher naheliegend zu vermuten, daß die Zähne dieser Raubtiere nicht allein als Schmuck dienten, sondern darüber hinaus auch symbolische Bedeutung hatten, in dem sie den Träger als Überwinder des jeweiligen Tieres und seiner besonderen Eigenschaften auswiesen. Ob die zahlreichen Hundezähne den jeweiligen Träger entsprechend als besonders treu bzw. der Gemeinschaft verbunden charakterisieren, kann nur vermutet werden.
Abb. 5: Großenrode II. Tierunterkiefer-Hälften im Beckenbereich einer Bestattung.
Fig. 5: Mandibles of animals placed on a human pelvis.
© Christoph Rinne
Auch das Grab II von Großenrode weist intensive metallzeitliche Eingriffe auf. Die nahezu vollständige Zerstörung der Anlage mit dem Zerschlagen und Versenken der Eingangssteine sowie einem großflächigen Eingriff innerhalb der Kammer läßt sich anhand großer Mengen Keramik gut in die späte Bronze- und frühe Eisenzeit datieren. Mit einem nicht näher bestimmbaren Abstand ging dieser Zerstörung ein zentraler, trichterförmiger Eingriff in der Mitte der Kammer voraus, aus dem jedoch nur wenige unspezifische, wohl metallzeitlich zu datierende Keramikfragmente geborgen werden konnten.
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